Mehr Solarenergie für die Energiewende! Doch was bedeutet das?
Unser Land braucht mehr erneuerbare Energie, am besten einheimisch produziert und aus Sonnenkraft, um die Energiewende zu schaffen. Im Folgenden erklären wir dir die Hintergründe der aktuellen Solardebatte, aber auch die Herausforderungen für unsere Umwelt und Landschaft.
Mit dem Angriff von Russland auf die Ukraine, aber auch angesichts einer drohenden Energielücke im Winter, wird die Frage unserer Abhängigkeit von Strom- und Gasimporten heiss diskutiert. Dazu kommt: ohne eine klimafreundliche Energiewende lassen sich die Klimaziele in der Schweiz gar nicht erst realisieren. Die Schweiz muss ihre Produktion von erneuerbaren Energien dringend erhöhen.
Die Energieversorgung der Schweiz ist stark vom Ausland abhängig
Laut den Zahlen des Bundesamtes für Statistik für das Jahr 2020 wird die Energieversorgung der Schweiz zu 72% durch Importe aus dem Ausland sichergestellt. Von den Gesamtimporten entfallen 66% auf Energieträger fossilen Ursprungs (Rohöl, Erdölprodukte und Gas) und 34% auf Kernbrennstoffe. Der direkt in der Schweiz erzeugte Strom stammt mehrheitlich aus Wasserkraft (58%) und Kernenergie (33%). Der geringe Rest entfällt auf erneuerbare Energiequellen (5%) und konventionelle Wärmekraftwerke (4%). Im internationalen Vergleich fällt in der Schweiz der tiefe Anteil von erneuerbaren Energien auf.
Die Debatte über die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischen fossilen Energieträgern gewann seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 zusätzlich an Bedeutung: fast die Hälfte der Gasimporte (43%) stammt aus Russland.
Welche Energieproduktion will die Schweiz?
Zivilgesellschaft, Umwelt-NGOs, Politiker:innen aller Couleur und Wirtschaftskreise fordern den Bundesrat auf, die Energiesicherheit zu überdenken. Die Meinungen über die richtige Strategie gehen jedoch auseinander.
Der Bundesrat möchte die Entwicklung der erneuerbaren Energien beschleunigen und erwägt den raschen Bau von Gaskraftwerken, um einer möglichen Stromknappheit im Winter vorzubeugen. Während die Grünen, die SP, die Mitte und die Grünliberalen vor allem auf den Ausbau von Solar- und Wasserkraft setzen, bevorzugt die FDP Technologieoffenheit und flirtet mit der Idee, das vom Volk per Abstimmung verankerte Verbot von Nukleartechnologie rückgängig zu machen. Die SVP spricht sich klar für ein Revival der Kernenergie aus.
Zur Erinnerung: 2017 hatte die Schweizer Bevölkerung «Ja zur Energiestrategie 2050» gesagt, die neben dem Verbot des Baus neuer Kernkraftwerke die Senkung des Energieverbrauchs, die Verbesserung der Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien vorsieht. Wasserkraft und Photovoltaik sind zwei wichtige Pfeiler der Energiestrategie 2050.
Die Dekarbonisierung der Energieversorgung ist machbar
Der Bundesrat hat im Juni 2021 die Botschaft zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung aus erneuerbaren Energien verabschiedet. Mit dieser Vorlage, welche die Revision des Energiegesetzes (EnG) mit der Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) verbindet, will er den Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien und die Versorgungssicherheit der Schweiz insbesondere im Winter stärken. Dieser sogenannte «Mantelerlass» kommt nächste Woche in den Ständerat, für Spannung ist gesorgt, denn neben der Förderung der Erneuerbaren wird gleichzeitig der Umweltschutz geritzt (siehe unten).
Doch eins nach dem anderen:
Stützt man sich auf die Daten der Umweltverbände und der Wissenschaft kann die Schweiz ihre Energieversorgung bis 2050 dekarbonisieren – dies ist sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar. Es bedingt jedoch einen Ausbau der Photovoltaik und der Wasserkraft, gekoppelt mit einer Steigerung der Energieeffizienz sowie Energieeinsparungen.
Zudem müsste die Schweiz besser ins europäische Energienetz eingebunden werden, bzw. ein Abkommen im Strombereich mit der EU abschliessen. Denn eine autarke Energieversorgung der Schweiz ist nicht realistisch, sie muss zwingend an den europäischen Strommarkt angebunden sein. Sprich, ohne Austausch mit den Nachbarregionen hat die Schweiz ein Versorgungsproblem.
Grossanlagen ausserhalb von Siedlungsgebieten: Unterst ützung zeichnet sich ab
Um das Ziel der Dekarbonisierung der Energieversorgung zu erreichen, muss die Zahl der Photovoltaikanlagen massiv erhöht werden. Wichtig zu wissen: Die Schweiz stellt innerhalb Europas eine Ausnahme dar, da sie derzeit keine Photovoltaik-Freiflächenanlagen baut. In ganz Europa gibt es weitaus mehr solche Installationen als Dachanlagen.
Der Bau von Solaranlagen an unberührten und abgelegenen Orten stiess lange Zeit auf Widerstand. Es zeigt einmal mehr das fortwährende Dilemma zwischen Landschafts- und Klimaschutz auf bzw. eine fehlgeleitete Fokussierung auf unberührte Flächen mit hoher Biodiversitätsleistung in Berggebieten.
Nachdem von der Mitte-Partei noch im Frühling 2022 ein Moratorium für isolierte Solaranlagen in Bergregionen gefordert wurde, schwenkten im Zuge der Diskussion über die Energiekrise sowohl die Bürgerlichen wie auch die linksgrünen Kreise um: sie können sich Grossanlagen ausserhalb des Siedlungsgebietes unter gewissen Bedingungen vorstellen.
Solaroffensive ja - doch zu welchem Preis?
Doch vor zwei Wochen ging der Ständerat in seiner Umweltkommission noch weiter: er definierte bei der Vorberatung des Mantelerlasses die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Realisierung von Solar-Grossanlagen und schlug eine Solarpflicht auf Neubauten ab 2024 vor. Diese zwei Entscheide schlugen hohe Wellen - doch der Entscheid bei der Solarpflicht auf Neubauten kommt einem Pyrrhussieg gleich. Weshalb?
Als die Kommission die rechtliche Grundlage für die schnelle Realisierung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen schuf, hat sie gleichzeitig den Umweltschutz ausgehebelt. Für solche Anlagen, wie sie vor allem im alpinen Gelände denkbar sind, soll die Planungs- und Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht gestrichen werden. Zudem sollen auch in Biotopen von nationaler Bedeutung die Energieerzeugung möglich sein und Gesetze zur Restwassermenge sollen bei der Wasserkraftproduktion suspendiert werden.
Letzte Woche nun hat der St änderat Nägel mit Köpfen gemacht, er hat die Grundzüge zum Bau von hochalpinen Solaranlagen verabschiedet und somit die Entscheide seiner Kommission bestätigt. Nächste Woche ist der Nationalrat am Zug, eine Annahme dieses «dringlichen Bundesgesetzes» gilt als wahrscheinlich. Sprich, werden nicht noch grössere Anpassungen am Gesetz gemacht, könnten bald Solaranlagen in den Bergen gebaut werden können, ohne dass die Umweltauswirkungen analysiert werden müssen.
Wenn Lösungen zu Problemen werden - bessere Interessenabwägung und Kompromisse sind nötig
Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass unter dem Deckmantel der erneuerbaren Energieerzeugung grossflächig und ohne Rücksicht auf fein austarierte Kompromisse in den Landschafts- und Umweltschutz eingegriffen wird. Und dass Verbänden und Interessengruppen das Recht abgesprochen wird, Beschwerden einzureichen. Schliesslich gilt, zuerst Dächer und bestehende Infrastrukturen mit PV-Anlagen zu bestücken bevor unberührte Berggebiete erschlossen werden. Es braucht in der Schweiz eine Solaroffensive, aber nicht in unerschlossenen Gebieten, sondern dort, wo menschliche Eingriffe sichtbar sind.
Bei POW werden wir uns dafür stark machen, dass diese Vorschläge im Rahmen der parlamentarischen Beratung ein besseres Gleichgewicht zwischen Energieproduktion und Landschaftsschutz erhalten. Es gilt, wie so oft in der Schweiz, einen Kompromiss zu finden und die Interessenabwägung nicht zu einseitig zu gestalten.
Titelbild: Simon Charrière
Quellen:
Akademie der Naturwissenschaften Schweiz: Der Schweizer Weg zu einer klimaneutralen und sicheren Energieversorgung bis 2050
Umweltallianz: Sichere Schweizer Energieversorgung 2035
Schweizer Parlament: Medienmitteilung der UREK-S vom 9. September 2022
Schweizer Alpen-Club SAC: Kein Freipass für Freiflächen-Photovoltaikanlagen in unerschlossenen Berglandschaften
Tages-Anzeiger vom 16.09.2022: «Ein guter Morgen. Ein genialer Morgen. Top. Top. Top.»