«Hoffnung entsteht, wenn sich Dinge verändern - auch in kleinen Schritten»

«Hoffnung entsteht, wenn sich Dinge verändern - auch in kleinen Schritten»

Erschienen am: 04.03.2025

Wie können wir mit Ängsten und Ohnmacht in der Klimakrise umgehen? Psychologin Flavia Gosteli erzählt im Interview, warum Hoffnung und Selbstwirksamkeit entscheidend sind.

Autor:in: Team POW

Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische und politische Herausforderung – sie betrifft uns auch auf einer emotionalen Ebene. Frust, Angst oder Ohnmacht sind Gefühle, die viele Menschen angesichts der Klimakrise erleben. Doch wie können wir mit diesen Emotionen umgehen und sie vielleicht sogar in positive Energie umwandeln? Dazu haben wir mit Flavia Gosteli gesprochen, Psychologin und Vorstandsmitglied des Vereins für Umweltpsychologie IPU Schweiz sowie Psychologists for Future Schweiz. Sie setzt sich mit der Verbindung zwischen Klimawandel und Psychologie auseinander. Im Interview teilt sie wertvolle Einblicke darüber, wie wir Hoffnung bewahren, Selbstwirksamkeit stärken, Veränderung antreiben und mit der Auseinandersetzung mit unseren Emotionen handlungsfähig bleiben.

Was hat dich dazu bewegt, die psychologischen Seiten unseres Umgangs mit der Natur und dem Klima genauer zu untersuchen?
Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur hat mich schon lange fasziniert. Ich frage mich, warum wir es angesichts der Klimakrise nicht schaffen, auf individueller und gesellschaftlicher Ebene beherzt und effizient zu handeln. Wieso schauen wir weg? Wieso treffen wir trotz des Wissens um die Konsequenzen der Klimakrise nicht die nötigen Entscheidungen?

Flavia Gosteli

Und konntest du dir diese Fragen zumindest teils beantworten?
Es ist ein sehr komplexes Thema. Ein wichtiger Faktor liegt in der psychologischen Distanz zur abstrakten Klimakrise, die weit weg vom eigenen Alltag scheinen kann, und unseren Emotionen, die damit verbunden sind. Die negativen Gefühle, die Prognosen und Klimakatastrophen in uns auslösen, können uns überfordern. Gefühle wie Furcht oder Frustration schieben wir lieber beiseite, weil sie uns stark aufwühlen oder lähmen können. Eine Verdrängung kann zwar punktuell gesund sein, weil uns eine ständige starke Sorge blockieren würde. Wenn wir der emotionalen Auseinandersetzung allerdings immer ausweichen, verpassen wir die Chance, die handlungsaktivierende Energie, die beispielsweise in Angst oder Wut liegt, zu nutzen, um das Problem ernstzunehmen, zu priorisieren und in unser Denken, Handeln und Entscheiden zu integrieren.

Was brauchen wir dann, um nicht gelähmt, sondern selbstwirksam zu sein – also durch unser eigenes Handeln positive Veränderungen im Umgang mit der Klimakrise zu bewirken?
Es kann helfen, emotionale Prozesse gezielt zuzulassen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen – sei das im privaten oder beruflichen Umfeld, oder Gesprächsrunden wie dem Klima Café. In Gesprächen können wir uns gegenseitig zuhören, stärken, konkrete Handlungsoptionen suchen und Ideen für strukturelles Engagement im Sinne des Konzepts des Handabdrucks entwickeln.

«Es geht darum, mit den eigenen Werten in Kontakt zu bleiben und herauszufinden, was einen aktiviert und was lähmt.»

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Selbstfürsorge: Veränderung braucht Kraft. Wir sollten uns gezielt Pausen zum Regenerieren einplanen und uns nicht mit unrealistischen Vorhaben oder konstant negativen Informationsfluten überfordern. Ich persönlich versuche, nicht nur auf negative Nachrichten zu fokussieren, sondern auch aktiv nach positiven Beispielen und Entwicklungen zu suchen. So behalte ich die Hoffnung und den Glauben daran, dass Veränderung möglich ist. Zudem verbringe ich Auszeiten gerne draussen. Das Staunen über unsere vielseitige natürliche Umwelt wirkt erholsam und motivierend zugleich, weil sie daran erinnert, wie wertvoll und schützenswert die Natur mit all ihren Lebewesen ist.

Es geht also darum, mit den eigenen Werten in Kontakt zu bleiben und herauszufinden, was einen nachhaltig aktiviert und was lähmt.

Flavia Gostlei unterwegs

Du hast die Bedeutung von positiven Beispielen angesprochen. Wie können solche Ansätze uns helfen, Hoffnung zu bewahren? Und welche Rolle spielen Zukunftsbilder?
Positive Beispiele – sei es in der Politik, Gesellschaft, Industrie oder von Einzelpersonen – dienen als Beweise, dass Veränderung möglich, beziehungsweise bereits im Gange und somit Hoffnung berechtigt ist. Sie zeigen konkrete Alternativen auf und helfen, die psychologische Distanz zu reduzieren. Der Fokus geht weg von dem, was wir vermeiden wollen, hin zu dem, was wir anstreben möchten. Bestenfalls inspirieren sie zu positiven Zukunftsvisionen, die motivierende Gefühle hervorrufen und konkrete Vorstellungen einer nachhaltigen Zukunft wecken.

Unser tägliches Leben ist im Hinblick auf klimafreundliches Handeln oft von Widersprüchen geprägt. Wie gehen wir mit den Widersprüchen um?
Wir können kaum zu hundert Prozent wertekonform handeln, weil sich manchmal unsere eigenen Werte widersprechen, aber auch weil die Infrastruktur und Rahmenbedingungen noch nicht darauf ausgerichtet sind. Ein wichtiger Schritt ist, solche Widersprüche zu erkennen, bewusst abzuwägen und versuchen zu akzeptieren, dass das aktuell Mögliche nicht immer das Ideale ist.

«Je mehr wir als Gesellschaft nachhaltige Entscheidungen treffen und sichtbar machen, desto eher wird klimafreundliches Verhalten als normal wahrgenommen.»

Warum fällt es uns so schwer, Veränderungen anzunehmen?
Veränderungen fordern uns oft heraus, weil sie uns aus unserer Komfortzone holen. Wir neigen dazu, unser Denken und Verhalten zu automatisieren und beizubehalten, ohne zu hinterfragen. Damit können wir, vereinfacht gesagt, kognitive Energie sparen. Die Veränderung von Gewohntem ist also mit hohem Aufwand verbunden und kann auch Ängste auslösen. In der Einschätzung, ob eine Veränderung notwendig ist, sind wir zudem mit psychologischen Phänomenen wie kognitiven Verzerrungen, psychologischer Distanz und kurzfristigen Denkmustern konfrontiert.

Welche Rolle spielen soziale Normen beim Annehmen von Veränderungen und wie können wir sie nutzen, um den Wandel zu unterstützen?
Soziale Normen sind ein bedeutsamer Faktor für unser Verhalten. Wir handeln öfter als wir denken entsprechend dem, was wir als «normal» empfinden oder was die Menschen um uns herum tun. Wenn klimafreundliches Handeln als Ausnahme gilt, fällt es vielen schwer, sich von der Masse abzuheben. Doch Normen sind wandelbar. Je mehr wir als Gesellschaft nachhaltige Entscheidungen treffen und sichtbar machen, desto eher wird klimafreundliches Verhalten als normal wahrgenommen.

Danke, Flavia, für das spannende Gespräch. Zum Abschluss: Welche persönlichen Erkenntnisse gibst du uns mit auf den Weg, um Hoffnung zu bewahren?
Hoffnung entsteht für mich, wenn ich sehe, dass sich bei mir oder bei Anderen Dinge – auch in kleinen Schritten – positiv verändern. Es ist ermutigend, zu sehen, wie immer mehr Menschen durch kreative Lösungen oder innovative Projekte neue, nachhaltige Wege finden. Sie lassen vor meinem inneren Auge kleine Tropfen nicht auf heissen Steinen verdunsten, sondern als Teil einer grossen Welle erscheinen.